Interview mit Annette Weidemann, ehrenamtliche Bodendenkmalpflegerin und Freundeskreismitglied

von | Apr 25, 2021 | Archäologische Landesmuseum MV, Interviews

Wir führen regelmäßig Interviews mit Personen aus vielen, verschiedenen Bereichen aus Mecklenburg-Vorpommern, Deutschland und der Welt. Das Interesse an Archäologie findet man neben den beruflich Engagierten bei vielerlei Menschen. Bei Musikern, Schriftstellern, Professoren, Handwerkern, Politikern, Freunde der Klassik oder des Heavy Metal. Sie alle eint die Faszination von vergangenen Kulturen und der Geschichte in Ihrer Heimat oder an einem anderen Punkt in der Welt

In dieser Woche führten  wir ein Interview mit der ehrenamtlichen Bodendenkmalpflegerin Annette Weidemann, die sich seit vielen Jahren für den Bau eines Archäologischen Landesmuseums einsetzt.

„Es ist höchste Zeit unser Kulturerbe aus dem Dornröschenschlaf im Depot wachzuküssen und wiederzubeleben!“

– Annette Weidemann

Annette Weidemann arbeitet als Physiotherapeutin in einer Eltern-Kind-Kurklinik – und ist in ihrer Freizeit mit Leidenschaft ehrenamtliche Bodendenkmalpflegerin. Ob steinzeitliche Artefakte oder Fibeln aus der römischen Kaiserzeit, ihrem geübten Blick entgeht nichts. Jeder Fund ist für sie ein kleines Fest. Als ein Gründungsmitglied des Freundeskreises Archäologisches Landesmuseum MV möchte sie den Funden einen angemessenen Museumsbau geben.

Zum Beginn als Lockerungsübung eine umgemünzte Gretchenfrage: Nun sag’, wie hast du’s mit der Archäologie?

Im Rahmen meiner ehrenamtlichen Tätigkeit fasziniert mich die Archäologie unseres Landes schon sehr lange. Mich aktiv auf Spurensuche begeben zu können, interessante Funde machen zu dürfen und immer wieder neue Erkenntnisse zu gewinnen, inspiriert mich jedes Mal aufs Neue. Deshalb ist es für mich unglaublich wichtig unser kulturelles Erbe nicht nur zu bewahren, sondern vor allem auch zu zeigen.

In Rostock soll in den kommenden Jahren das Archäologische Landesmuseum MV gebaut werden. Grund genug die Möglichkeiten, die solch ein neuer Museumsbau bringt, zu erörtern und Erwartungen und Ideen zu äußern. Was sollte Deiner Meinung nach dort wie gezeigt werden?

Ohne Frage: Die letzten 10.000 Jahre unserer Kulturgeschichte in innovativer Form. Es sollte eine museale Präsentation sein, die alle Sinne anspricht. Zum Beispiel könnten einige alleinstehende Highlights durch Licht, Farben, Geräusche und Gerüche in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt werden. Was auf jeden Fall gezeigt werden sollte, ist die Ostseegeschichte  und damit unumstößlich auch Unterwasserpräsentationen, also Objekte im Wasser, nicht in der Vitrine.

Um konkreter zu werden: Welche Funde sollten im ALM gezeigt werden? Und welche Schwerpunkte sollte die Dauerausstellung haben?

Da fallen mir eine ganze Reihe ein: Der bronzezeitliche Fundkomplex aus dem Tollensetal, Funde von verschiedenen slawischen Handelsplätzen wie zum Beispiel  Kap Arkona,  Groß Strömkendorf und Ralswiek. Von großer Bedeutung ist auch der Harald-Blauzahn-Schatz von Schaprode, ebenso der legendäre Goldschatz von Hiddensee, beide prägend für den kulturellen Austausch zwischen Slawen und Wikingern. Wichtig  wäre es auch, Artefakte aus Dänemark zurück zu bekommen, die derzeit dort als Dauerleihgabe ausgestellt werden, wie der bronzezeitliche Kultwagen von Peckatel oder das bronzezeitliche Horn von Wismar, mit einer der ersten Kalenderdarstellungen überhaupt. Beide kann man im Moesgård-Museum bestaunen. Und da wir schon bei Skandinavien sind: Funde skandinavischer Herkunft wie etwa vom skandinavischen Seehandelsplatz in Rostock-Dierkow, dem sogenannten Primelberg, sollten nicht fehlen. Wie schon gesagt halte ich Unterwasserarchäologie für wichtig. Ein ALM wäre demzufolge der Ort um  verschiedene Wrackteile im Wasser zu zeigen.

Springen wir vom Inhalt zur Hülle: Wie sollte das neue ALM aussehen?

Ein Museum im Rostocker Stadthafen darf für mich gern  aus dem Wasser wachsen. Wie wäre es zum Beispiel, wenn es auf „Stelzen“ stehen könnte? Das würde sich optisch sehr gut einfügen. Optimal wäre es, einen Bau zu erschaffen, der sich von der äußeren Gestaltung harmonisch in den Stadthafen eingliedert. Innen sollte er  außerdem so flexibel gestaltet sein, dass die Ausstellungen jederzeit umgebaut werden können und wenig räumliche Begrenzungen haben. Flexible Schiebetüren, hohe Decken und außerdem genügend Platz für Lager- und Seminarräume. Da die Ostseeforschung eine wichtige Rolle in dem ALM einnehmen wird, sollten unbedingt auch Forschungslabore angegliedert sein.

Welche bereits existierenden Ideen sollten im ALM unbedingt verwirklicht werden?

Ein Kindermuseum darf nicht fehlen, sowie ein archäologischer Abenteuerspielplatz im Außenbereich, der allen frei zur Verfügung steht. Quasi als Anreiz das Museum zu besuchen, sollte der „Fund des Monats“ für alle sichtbar im Foyer gezeigt werden. Wenn der Blick auf Themen geht, drängt es sich von der Lage und von der Umgebung förmlich auf, dass ein großer Themenschwerpunkt die Unterwasserarchäologie in Kombination mit der Ostseegeschichte und die Forschung in diesem Bereich sein sollte. Ein archäologisches Landesmuseum so dicht am Meer ist selten. Außerdem sollte das ALM ganz klar als Ausgangsbasis für Wanderausstellungen konzeptioniert werden.

Wie sollten im ALM archäologische Artefakte präsentiert werden?

Die Präsentation eines Fundes sollte ein Erlebnis sein. Ich finde es gut, Funde in 3D zu präsentieren, damit man Möglichkeiten hat, etwas selbst zu entdecken. Dann ist der Weg nicht mehr weit, etwas auch selbst herstellen zu wollen. Hier sollte unbedingt die Experimentalarchäologie eingebunden werden.

Gibt es unter den Archäologiemuseen in Deutschland und darüber hinaus Vorbilder für das ALM?

Mein Favorit ist das Museum Moesgård im dänischen Aarhus.

Unabhängig von Rostock und MV, was sollte ein Archäologisches Landesmuseum generell zeigen? Und was eher nicht?

Zur Landesgeschichte der letzten 10.000 Jahre bis zur frühen Neuzeit gehört auch die Hansezeit. Sie müsste meines Erachtens einen großen Stellenwert in unserem ALM einnehmen. Da sind wir auch wieder bei dem Schwerpunkt Ostseegeschichte, sprich die Handelsverbindungen zu den einzelnen Ostseeanrainern, die ohne die Unterwasserarchäologie nicht denkbar ist. Außerdem sollten der Große Nordische Krieg und der Dreißigjährige Krieg Beachtung finden.  Da es ein Archäologisches Landesmuseum ist, müsste meiner Meinung nach die Neuzeit nicht unbedingt gezeigt werden, da diese zum Großteil schon in kulturhistorischen Museen ausgestellt wird. Allerdings  gibt es da  sicher einige Ausnahmen wie Befunde aus ehemaligen KZ`s, Kriegsgefangenenlagern und ähnlichen geschichtsträchtigen Einrichtungen.

An wen sollte sich das ALM richten? Welche Besuchergruppe verdient besondere Aufmerksamkeit und darf nicht vergessen werden?

An die Bürger Mecklenburg- Vorpommerns und deren Gäste. Ich würde den Kindern große Aufmerksamkeit widmen. Denn sie sind unsere Zukunft und werden unser archäologisches Kulturerbe bewahren. Deshalb halte ich es für wichtig, diese schon früh für Archäologie zu begeistern und zudem einen Besuch des ALM in den Schulunterricht zu integrieren.

Was sollte das ALM in Rostock einzigartig machen?

Eine weite und gutdimensionierte Innenarchitektur mit ausreichender Raumhöhe wird die Besucher ansprechen , und natürlich die  Ausstellungen bis hin zur Möglichkeit für die Ostseeforschung unter Wasser abtauchen zu können – und das alles im Gebäude.

Persönlich:

Ich engagiere mich für den Freundeskreis ALM, weil ich an der Umsetzung des Museumsbaus aktiv mitwirken möchte. Unser Bundesland besitzt zwar unglaubliche Schätze, ist jedoch aktuell nicht in der Lage, diese in einem angemessenen Landesmuseum zu präsentieren. Seit fast drei Jahrzehnten wird der Bau von Seiten der öffentlichen Hand versprochen. Nun ist es an der Zeit, den Versprechungen Taten folgen zu lassen! Es darf nicht sein, dass unser Kulturgut in Depots verstaubt oder nur als Dauerleihgabe in anderen Ländern bewundert werden kann.

Das Interview führten wir am 21.4.2021.
Wir bedanken uns ganz herzlich bei Annette Weidemann.