Interview mit Dr. Anna-Konstanze Schröder – Geschäftsführerin des Heimatverbandes MV und Mitglied im Freundeskreis ALM

von | Mai 8, 2021 | Archäologische Landesmuseum MV, Interviews

Wir führen regelmäßig Interviews mit Personen aus vielen, verschiedenen Bereichen aus Mecklenburg-Vorpommern, Deutschland und der Welt. Das Interesse an Archäologie findet man neben den beruflich Engagierten bei vielerlei Menschen. Bei Musikern, Schriftstellern, Professoren, Handwerkern, Politikern, Freunde der Klassik oder des Heavy Metal. Sie alle eint die Faszination von vergangenen Kulturen und der Geschichte in Ihrer Heimat oder an einem anderen Punkt in der Welt

In dieser Woche führten  wir ein Interview mit Dr. Anna-Konstanze Schröder zum Thema Archäologisches Landesmuseum in MV.

„Das Archäologische Landesmuseum Rostock soll ein Bürgermuseum von den Bürger*innen für die Bürger*innen werden in bestem aufklärerischen Sinne: Habe den Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen. Es soll die Heimatengagierten und die Kinder des Landes einbeziehen und ihnen tolle Bildungsangebote unterbreiten und mit ihnen zusammen erdenken. Es soll ein Ort sein, an dem die Bürger*innen miteinander ihre Geschichtsbilder diskutieren und entwickeln.“

– Dr. Anna-Konstanze Schröder

Dr. Anna-Konstanze Schröder studierte Psychologie und Religionswissenschaft, forschte an den Universitäten in Greifswald, Aarhus, Bochum, Bern und arbeitet seit 2018 als Geschäftsführerin im Heimatverband Mecklenburg-Vorpommern. Im Freundeskreis Archäologisches Landesmuseum engagiert sie sich insbesondere im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Im September 2021 kandidiert sie für den Landtag im Wahlkreis 13 (Altkreis Demmin).

Zum Beginn als Lockerungsübung eine umgemünzte Gretchenfrage: Nun sag’, wie hast du’s mit der Archäologie?

Als Geschichtsinteressierte bin ich auf Erkenntnisse der Archäolog*innen und ehrenamtlichen Bodendenkmalpfleger*innen angewiesen. Ständig werden neue kulturelle „Bodenschätze“ entdeckt, die bisherige Geschichtsbilder hinterfragen. Als damals das Schlachtfeld in der Tollense ausgegraben wurden und meine Wissenschaftskollegen aus New York mir davon begeistert erzählten, da war ich schon mächtig beeindruckt, welche Kreise das zieht.

In Rostock soll in den kommenden Jahren das Archäologische Landesmuseum MV gebaut werden. Grund genug die Möglichkeiten, die solch ein neuer Museumsbau bringt, zu erörtern und Erwartungen und Ideen zu äußern. Was sollte Deiner Meinung nach dort wie gezeigt werden?

Ich erwarte mir einen Querschnitt durch die Landesgeschichte anhand archäologischer Artefakte. Dabei soll die Ausstellung dazu einladen, bei einzelnen Themen inhaltlich tiefer zu graben und sich mit der eigenen Ortsgeschichte genauer zu beschäftigen. Sie soll auch kontroverse Interpretationsweisen thematisieren. Die Ausstellung soll aber auch aufzeigen, wie vernetzt unser Land in die Welt und die Weltgeschichte war und ist. Und das Museum soll dazu einladen, sich ggf. selbst zum/r ehrenamtlichen Bodendenkmalpfleger*in ausbilden zu lassen. Und nicht zuletzt soll es Kindern zeigen, wie man sich das Wissen über die Welt und ihre Geschichte mit Hilfe von Archäologie erschließt.

Um konkreter zu werden: Welche Funde sollten im ALM gezeigt werden? Und welche Schwerpunkte sollte die Dauerausstellung haben?

Mir persönlich sind vor allem maritime Funde wichtig. Laut UNESCO-Konvention sollen Unterwasserfunde besser dort verbleiben, wo sie gefunden wurden. Allerdings kann das Archäologische Landesmuseum als Leuchtturm im Land erste Anlaufstelle für weitere Ausstellungen im Land sein, wie z.B. ein „Freiwassermuseum“ um Rügen oder das Ukranenland. Außerdem wurden ja viele Unterwasserfunde bereits geborgen und restauriert und warten auf ihre Ausstellung derzeit im Schweriner Depot. Hafenanlagen und Handelsplätze mit entsprechenden Funden gehören zum Themenfeld.
Ich wünsche mir einen Bereich experimentelle Archäologie, bei der Funde kontinuierlich nachgebaut werden, wie z.B. die Boote von Ralswiek analog zu den Wikingerschiffsbauten in Roskilde. Gerade für die maritime Geschichte können Unterwasserfunde neue Erkenntnisse bringen: Archäologie tut Not!

Mir wäre wichtig, dass nicht nur einmalige Stücke zu sehen sind, sondern auch Alltagskultur ihren Platz hat und Objekte aus dem ganzen Land vertreten sind, sodass die Besucher*innen aus dem ganzen Land einen Bezug zu ihrem Umfeld und Leben finden.

Springen wir vom Inhalt zur Hülle: Wie sollte das neue ALM aussehen?

Die Hülle sollte den inhaltlichen Bedürfnissen angemessen sein, dafür müsste aber ein Gesamtkonzept erstellt werden oder bekannt sein. Es brauch ein Unterwasser-Kellergeschoss für die Unterwasserfunde. Vor allem aber wünsche ich mir einen freundlichen Bau, der von außen mit einer fröhlichen Fassade einlädt und innen warm und hell ist. Eine begehbare Dachterrasse mit toller Aussicht und Aktionsfläche wie z.B. einer experimentellen Bronzeschmiede oder Töpferei, wo sich die Besucher auch ausprobieren können in historischen Handwerken wäre wunderbar.

Welche bereits existierenden Ideen sollten im ALM unbedingt verwirklicht werden?

Ich wünsche mir, dass das ALM ein Zentrum für Heimatforscher*innen und ehrenamtliche Bodendenkmalpfleger*innen wird. Dort sollen sie sich treffen und ihre Funde diskutieren und sich vernetzen und ausgebildet werden. Dafür braucht es die notwendigen Räumlichkeiten und die technische Ausstattung und hauptamtliche Unterstützung, dazu gehören Aufbewahrungsmöglichkeiten z.B. für die Tauchschule für Unterwasserarchäologen.

Kinder sollen in einem eigens für sie gestalteten Bereich altersgerecht an das Thema Archäologie und Geschichte herangeführt werden.

Das Museum soll auch den Respekt und den Schutz der Archäologischen Stätten fördern und ein Bürgerbewusstsein für unsere Kulturlandschaft und Denkmalschätze anregen.

Das Museum braucht auch einen hochrangigen Forschungsbereich mit internationalem akademischem Anspruch. Auch dafür muss Platz geschaffen werden und eine Zusammenarbeit mit den Universitäten im Land, den landesgeschichtlichen Institutionen und den Denkmalämtern organisiert werden, die auch die Bürgerwissenschaftler*innen mit einbezieht. Es kann ein Forschungszentrum für den kulturellen Begegnungsraum südliche Ostsee werden.

Wie sollten im ALM archäologische Artefakte präsentiert werden?

Egal welcher Fund, dazu gehören für mich auch immer die weiteren Informationsquellen, mit denen ein Fund oder ein Themenfeld interpretiert werden: also wie kommt man vom Objekt zum Beschreibungstext im Museum. Es soll dabei gezeigt werden, dass Geschichte gemacht wird, und sich Geschichtsbilder aufgrund einer Vielzahl von Erkenntnissen wandeln. Und auch die Technik der Archäologie entwickelt sich weiter. Statt invasiven Großgrabungen kommen immer mehr digitale Techniken zum Einsatz.

Ich wünsche mir thematische Zugänge zur Geschichte, wie z.B. Maritimes, Alltagskultur, Bestattungskultur, Formung von Kulturlandschaft, Handwerk und Industrie, Krieg und Frieden, Religion als kontroverses Thema, Internationale Beziehungen, Besonderheiten des südlichen Ostseeraums, unsere Dinosaurier. Dabei sollte viel Raum für eigene Entdeckungen gegeben werden. Auch eine Bibliothek mit Leseraum gehört dazu, wo man sich beim Besuch in ein Thema vertiefen kann, auf das man dort stößt. Und gemütliche Sitzgelegenheiten, wo man zwischen den Betrachtungen ausruhen kann.

Unbedingt sollten günstige Jahreskarten einen häufigen Besuch ermöglichen. Auch thematische Arbeitsgemeinschaften der ehrenamtlichen Bodendenkmalpfleger*innen mit dem Museumspersonal, auch entsprechende kindgerechte Veranstaltungen stelle ich mir vor.

Außerdem sollte auch eine ALM on Tour mitbedacht werden, das Artefakte zu den Schulen hinbringt oder auch in Viertel mit Bewohner*innen, die eher bildungsfern sind und vielleicht erst nach einem solchen Anstoß in ein Museum gehen würden.

Gibt es unter den Archäologiemuseen in Deutschland und darüber hinaus Vorbilder für das ALM?

Auf jeden Fall braucht das Museum ein Gebäude mit viel Platz. Ich wünsche mir eine Ausstellungsfläche von der Größe des Ozeaneums in Stralsund, das sind über 8000 qm, derzeit sind nicht mal 4000 qm Nutzfläche eingeplant.

Mir persönlich gefällt das ALM in Chemnitz architektonisch sehr gut. Indem die Funde in eine Kaufhausarchitektur hinein inszeniert werden, ermöglichen sie einen frischen Blick darauf und brechen das museale Gefühl und wecken Neugier. Auch die historischen Forschungsmethoden zu präsentieren finde ich wichtig, da kann man sich am Müritzeum ein Beispiel nehmen und es ggf. noch weiterentwickeln. In Herne kann man bei Schaugrabungen direkt zusehen – solche Gelegenheiten gibt es in Rostock auch zur Genüge und sie sollten mitbedacht werden.

An wen sollte sich das ALM richten? Welche Besuchergruppe verdient besondere Aufmerksamkeit und darf nicht vergessen werden?

Das Archäologische Landesmuseum Rostock soll ein Bürgermuseum von den Bürger*innen für die Bürger*innen werden im besten aufklärerischen Sinne: Habe den Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen. Es soll die Heimatengagierten und die Kinder des Landes einbeziehen und ihnen tolle Bildungsangebote unterbreiten und mit ihnen zusammen erdenken. Es soll ein Ort sein, an dem die Bürger*innen miteinander ihre Geschichtsbilder diskutieren und entwickeln.
Es soll mit anderen Kultursparten, dem Landschafts-/Naturschutz und der Wirtschaft zusammenarbeiten, um die Relevanz der Archäologie und der Geschichtsforschung für alle Lebensbereiche zu verdeutlichen.

Es soll erster Anlaufpunkt in Sachen Archäologie für Tourist*innen in MV sein, vor allem aber Touristen aus der ganzen Welt nach MV locken, um hier die kulturellen Bodenschätze von weltweiter Bedeutung zu sehen und die zugehörige Kulturlandschaft zu erkunden.

Was sollte das ALM in Rostock einzigartig machen?

Neben den aufsehenerregenden Funden soll das Museum vor allem ein Ort sein, der von den Bürger*innen des Landes getragen wird. Ich wünsche mir, dass von ihm eine Bewegung in das ganze Land ausgeht, sich für die kulturellen Bodenschätze zu engagieren und andere dazu einzuladen, sie mit zu entdecken.

Persönlich:

Ich engagiere mich im Freundeskreis Archäologisches Landesmuseum, weil mich das beharrliche Engagement der ehrenamtlichen Bodendenkmalpfleger*innen beeindruckt, die sich seit 30 Jahren unermüdlich für den Bau des Archäologischen Landesmuseums einsetzen trotz einer Vielzahl von Rückschlägen. Ich unterstütze das gern mit den Kompetenzen und dem Netzwerk, das ich von meiner Arbeit im Heimatverband und im Kulturmanagement auf Landesebene einbringen kann. Denn wir Bürger*innen müssen uns für unsere Interessen stark machen und müssen ggf. einfordern, dass Politik und Verwaltung mit den bürgerlichen Interessengruppen besser zusammenarbeiten. Ich hoffe, dass die vielen guten Ideen unter den Archäolog*innen und Bodendenkmalpfleger*innen im Land für das Archäologische Landesmuseum umgesetzt werden können.

Das Interview führten wir am 26.4.2021.
Wir bedanken uns ganz herzlich bei Dr. Anna-Konstanze Schröder.